Resilienz in Zeiten des Coronavirus (72)
Zu zweit ist man weniger allein
Paare, die Jahrzehnte beisammenbleiben, beeindrucken uns – und wir fragen uns: Was ist wohl ihr Geheimnis?
Wolfgang Schmidbauer ist Paartherapeut und erklärt im ZEITmagazin vom 22. Juli 2020, wie man es schafft, lange zusammenzubleiben (leicht gekürzt):
«Es ist eher das Gegenteil eines Mysteriums. In einer vertrauten Partnerschaft nimmt man den anderen so wahr wie die Natur um sich herum. Der andere ist einfach da, er ist selbstverständlich, und wenn er nicht da wäre, würde er fehlen. Es ist eben nicht so, dass der Partner oder die Partnerin die ganze Aufmerksamkeit verlangt, wie das bei Frischverliebten der Fall ist.
Den anderen als Menschen anzunehmen ist das Geheimnis vertrauter Paare. Sie haben gelernt, dass der Partner auch Schwächen hat, und sie ärgern sich nicht darüber, dass er nicht ganz genauso ist, wie man ihn sich vorgestellt hat. Sie haben akzeptiert, dass der andere so ist, wie er ist.
In einer Welt voller Dating-Portale kommt leicht die Fantasie auf, man könne selbst glücklicher sein, wenn man nur jemand Besseres hätte, oder aber der Partner, die Beziehung brauche ein Upgrade. Doch Liebe hat nichts mit Optimierung zu tun. Die Bemühungen, die eigene Beziehung – und oft auch den eigenen Partner – in Richtung eines Optimums zu treiben, führen meistens nicht zu mehr Vertrautheit, sondern zu mehr Unsicherheit.
Das bedeutet nicht, dass gar nichts Neues mehr passieren soll. Geteilte Leidenschaften, gemeinsame Unternehmungen und Zeit, die man miteinander verbringt, sind wunderbar. Sie sollten aber nie Mittel zum Zweck sein. Eine Partnerschaft ist keine Aktiengesellschaft, die ständig ein neues Restrukturierungsprogramm braucht. Wenn man all die unproduktive Selbstkritik und die überflüssigen Anläufe, die Beziehung ständig verändern zu wollen, aufgibt und sich entschließt, sie so zu lassen, wie sie ist, und sie so zu genießen, ist viel gewonnen. Denn dann kann man beginnen, sich damit wohlzufühlen, dass nicht alles optimal ist.
Der stabilisierende Prozess in einer Partnerschaft ist also die gemeinsame Verarbeitung der unabänderlichen Tatsache, dass die Beziehung nicht perfekt ist. Dieser Prozess sollte mit Gelassenheit absolviert werden, ohne Druck und Vorwürfe – und ohne den Versuch, die Erhaltung der anfänglichen Verliebtheit zu erzwingen. Das Wissen um das, was man hat, hilft mehr als die Fantasie, was man alles haben könnte.
Ganz wichtig ist auch, dass Partner Zeit miteinander verbringen, in der sie nichts voneinander ablenkt. Dass man nicht aufhört, aufmerksam zu sein, dass man fragt: Wie geht’s dir? Was beschäftigt dich gerade? Es ist wichtig, sich gegenseitig solche Fragen zu stellen, dem anderen zuzuhören, miteinander zu reden und sich darüber zu freuen, dass man noch zusammen funktioniert.»
Lesen Sie auch seine wöchentliche Liebes-Kolumne im ZEITmagazin.
Und kennen Sie das verfilmte Buch «Zusammen ist man weniger allein» von Anna Gavalda?
Bleiben Sie gesund und bleiben Sie verbunden
Ihre Regula Hug
Bild: ©Marion Hammer, ZEITmagazin Nr. 31/2020
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