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Resilienz in Zeiten des Coronavirus (75)

Ruderalpflanzen sind genüsam

Zufrieden sein mit Wenigem - geht das?

Ruderalpflanzen sind eine schöne Metapher für Resilienz. Sie finden Nahrung und Halt auf Lava- und Kiesböden. Doch kann man in der heutigen Zeit über den Wert des Kleinen, Unscheinbaren, Einfachen oder Genügsamen sprechen?

Andreas Reckwitz sagt, der Fortschrittsglaube sei in den letzten Jahren geschwunden. Die Corona-Krise sei für Viele zur Projektionsfläche geworden, für Befürchtungen und für Hoffnungen. Im Lockdown wurde die polarisierte Sozialstruktur der Spätmoderne schlagartig sichtbar. Während die neue Mittelklasse in ihren Homeoffices ohne grosse Einbussen weiterwerkelte, war die prekäre Klasse in Spitälern, Pflegeheimen, an Ladenkassen oder in Fleischfabriken dem Virus unmittelbar ausgesetzt. Auf die, die vorher im Schatten standen, fiel auf einmal das Licht. Jene Nationalstaaten, die noch ein relativ gut unterhaltenes öffentliches Gesundheitssystem haben, sind besser durch die Krise gekommen als jene, die ihr System stark privatisiert haben – wie etwa in den USA, wo ganze Bevölkerungsgruppen herausfallen. In Katastrophen zeigt sich, ob man sich auf bestimmte öffentliche Güter verlassen kann oder nicht. Da sich in der Spätmoderne globale Risiken mehren, ist ein defensiveres Staatsverständnis gefragt: Es geht um einen resilienten Staat, der Schutz vor katastrophalen Entwicklungen bietet – seien es Pandemien, der Klimakollaps oder ein digitaler Crash. Die spätmodernen Gesellschaften sind verletzlicher, als viele denken. Pandemie wie Klimawandel fordern die Risikopolitik der Staaten heraus, in beiden Fällen ist präventives Handeln nötig. In der Klimapolitik wie in der Virusbekämpfung wächst den Naturwissenschaften eine ungewöhnlich starke Rolle zu. Ähnlich ist beiden auch, dass sie Politik und Öffentlichkeit zwingen, Risiken gegeneinander abzuwägen: Wie lässt sich das Virus eindämmen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen und ohne die Bürgerrechte auf Dauer einzuschränken?

Zielt das letztlich auf eine Genügsamkeit in der Ökonomie und auch in unserem privaten wie gesellschaftlichen Leben?

Mit Genügsamkeit befasst sich zum Beispiel die Dokumentation «Wir haben genug - Wirtschaft ohne Wachstum» von Alexandra Schneider. Auch sie fragt, ob nicht längst auch der Klimakrise mit mindestens ebensolcher Konsequenz begegnet werden wie dem Virus. Ihre These: Das ökonomische Wachstum, gemessen an der Kennzahl des BIP (Bruttoinlandprodukt) ist das Problem. Kritiker bezeichnen die einseitige Ausrichtung der Politik am Wachstum verantwortlich für Umweltzerstörung, aber auch soziale Ungleichheit. Sie fordern die Abkehr vom Wachstumsparadigma. Staatliche Mittel dürften nicht in einen "Wiederaufbau" mit Wachstum fließen, sondern müssten zwingend dem Umstieg in eine nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschaftsweise dienen. Die Dokumentation spürt in Theorie und Praxis dem Gedanken nach, dass auf unserem endlichen Planeten kein unendliches Wachstum möglich ist. Der Film zeigt Menschen, die sich längst auf den Weg gemacht haben, ihre Vision umsetzen, ohne die damit einhergehenden Herausforderungen auszublenden und offene Fragen zu verschweigen.Wie kann eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform aussehen, in der das Wohlergehen aller und die Rücksicht auf ökologische Grenzen an oberste Stelle stehen?

Genügsamkeit ist auch in der Land- und Forstwirtschaft ein Thema. Beispielsweise sind Maschinen nicht immer die beste Lösung. Tiere können helfen, Böden zu schonen und Immissionen einzusparen. Vor allem auf kleinen Höfen sind Zugtiere sinnvoll. Esel, Maultiere, Kamele, Elefanten, Lamas, Büffel, Pferde, Ochsen, Hunde und Rentiere dienen den Menschen noch immer bei der Arbeit. Ein Grossteil der kleinbäuerlichen, oft von Frauen geführten Betriebe im globalen Süden besitzt nach wie vor Tiere, die beim Transport oder auf dem Feld helfen. Doch der Umgang mit Arbeitstieren steht in Landwirtschafts-Studiengängen oft nicht mehr auf dem Lehrplan. Im Jahr 1981 stand Tierkraft als «erneuerbare Energie» erstmals auf der Agenda einer Konferenz der Vereinten Nationen. Auch in Europa fordern Interessengruppen wieder einen stärkeren, wissenschaftlich begleiteten Einsatz von Zugtieren in der Land- und Forstwirtschaft. «In der Bevölkerung trifft das auf sehr offene Ohren», sagt Pit Schlechter von der europäischen Vereinigung zur Zugtier-Förderung (Fectu). Die Interessengemeinschaft Zugpferde e. V. macht zum Beispiel Lobbyarbeit dafür, dass vermehrt wieder Pferde die Waldarbeit verrichten. Die sonst üblichen schweren Maschinen verdichten den Boden und können das feingliedrige Wurzelsystem schädigen, dadurch nimmt die Luft- und Wasserleitfähigkeit ab.

Genügsamkeit macht zufrieden, sagen Marlen und Stephan Koch. Nachhaltige Landwirtschaft und Fleischproduktion sind ihre Herzensaufgabe. Sie nehmen ausgedientes Vieh bei sich auf und vertreiben direkt vom Hof. «Ginge es uns ums Geld, hätten wir den Hof nicht übernehmen dürfen», sagt Stephan. Und Marlen: «Aber wir wollten dereinst nicht auf dem Sterbebett liegen und über alle verpassten Chancen nachdenken müssen.»

 

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Bleiben Sie gesund und bleiben Sie verbunden
Ihre Regula Hug 

 

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