Resilienz in Zeiten des Coronavirus (78)
Was die alten Stoiker mit Resilienz zu tun haben
Die 2000 Jahre alten Ideen der Stoiker können uns helfen, gelassen zu bleiben.
Die Stoiker sind bis heute bekannt für ihre Lebensphilosophie, die vor allem eines fordert: Gelassenheit. Gelassenheit angesichts tragischer Ereignisse, unvorhergesehener Schicksalsschläge, Gelassenheit auch im Hinblick auf Krankheit und Tod. Lukas Studer untersucht in seinem Artikel im Magazin vom 9.9.2020 wie man mit Marc Aurels und Senecas Hilfe Ruhe bewahren kann, wie man sich die sprichwörtliche «stoische Reaktion» aneignet. Und er merkte: Da ist mehr zu holen. Die Gelassenheitsdoktrin der Stoiker beruht auf einem philosophischen Fundament, das auch zu anderen wichtigen Themen, beispielsweise dem Zusammenleben der Menschen, einiges zu sagen hat. Die Stoiker befassten sich mit den grundsätzlichen Fragen der Lebensführung. «Gerade in sicheren Zeiten sollte der Mensch sich auf Mühsal vorbereiten und sich gegen Schicksalsschläge wappnen», schrieb Seneca. Marc Aurel vergleicht die stoische Lebenskunst mit der eines Ringers: Es geht darum, auf Unvorhergesehenes vorbereitet zu sein und die Schläge einzustecken, ohne zu wanken.
Die mentale Vorbereitung auf mögliches Unglück ist ein wichtiger Teil der stoischen Lebensführung. Bei den Stoikern waren dabei zwei Dinge besonders wichtig: Erstens soll man sich auf mögliche Ereignisse vorbereiten, indem man sich selbst immer wieder daran erinnert, dass sie einem widerfahren können. Zweitens sollte man sich die Angst vor Krankheit und Tod so weit wie möglich selber nehmen, indem man sie als Realitäten des Lebens anerkennt. Das vielleicht eindrücklichste Beispiel für diese Haltung findet sich bei Epiktet: «Wenn du dein Kind oder deine Frau küsst, dann sage dir: ‹Es ist ein Mensch, den du küsst.› Dann wirst du die Fassung nicht verlieren, wenn er stirbt.»
Die Gelassenheit gegenüber der Veränderung basiert bei den Stoikern auf der Überzeugung, dass alles Geschehen vorbestimmt ist. Alle Veränderungen in der Welt folgen einem vernünftigen Plan. Was in der Welt geschieht, ist deshalb gut, auch wenn uns Menschen der Nutzen bestimmter Ereignisse nicht immer klar ist. Für die Stoiker sollen die Menschen also nicht mit den Ereignissen hadern, sondern sie sollen die Geschehnisse annehmen und darauf vertrauen, dass es mit den Dingen in der Welt schon seine Richtigkeit hat. Marc Aurel formuliert es an einer Stelle so: Alle Dinge, die den Menschen passieren, seien ihnen vom Kosmos «verordnet» – ähnlich wie ein Arzt einem Patienten eine Medizin verordnet, die diesem vielleicht nicht schmeckt.
Doch der Stoizismus rät nicht zur Passivität, ganz im Gegenteil. Cicero und Marc Aurel waren gar der Ansicht, dass es die Pflicht der Weisen sei, ihr Wissen und ihre Erfahrungen dem Gemeinwesen zugutekommen zu lassen. Es geht der stoischen Ethik nicht um absoluten Gehorsam, sondern die relevante Frage für sie lautet: Was liegt in meiner Macht? Worauf kann ich Einfluss nehmen? Von Dingen, die ich nicht beeinflussen kann, sollte ich mich nicht belasten lassen. Wenn ich hingegen etwas tun kann, um die Situation zu verbessern, dann sollte ich es tun.
Denn gemäss den Stoikern sind Ereignisse und Dinge für sich genommen wertfrei; erst durch das menschliche Urteil werden sie gut oder schlecht. So betrachtet, liegt es tatsächlich in unserer Hand, ob uns etwas Gutes oder Schlechtes widerfährt – denn gut oder schlecht wird es erst, wenn wir es so auffassen. Am Beispiel der Pandemie würde das bedeuten, dass man diese vermeintlich schwierige Zeit als etwas Gutes betrachtet, indem man sich auf die guten Dinge konzentriert. Vertreter der Stoa propagierten unter anderem deswegen einen einfachen Lebenswandel, weil ihrer Ansicht nach dieser am besten dazu geeignet ist, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu besinnen. Hinzu kommt die Überzeugung der Stoiker, dass die Menschen stets mit dem Gemeinsinn im Blick handeln sollten. Die Stoiker waren also überzeugt, dass der Mensch von Natur aus ein zur Gemeinschaft bestimmtes Wesen ist und dass alle Menschen über ein natürliches Zusammengehörigkeitsgefühl verfügen. Das Individuum trägt Verantwortung für das, was der Gemeinschaft geschieht; und es ist das Wohlergehen der Gemeinschaft, das Ausgangspunkt der moralischen Überlegungen sein sollte. Es entspricht daher einer genuin stoischen Haltung, seine eigenen Interessen hinter den Interessen der Gemeinschaft zurückzustellen und zu fragen, wie man sich verhalten soll, damit es der Gemeinschaft nützt.
Natürlich gibt es keine Garantie, dass solche Bemühungen fruchten werden. Da hilft nun wieder: die Gelassenheit. Die Stoiker waren sich nämlich bewusst und wiesen gerne darauf hin, dass ohnehin nie garantiert ist, dass unsere Pläne sich so erfüllen, wie wir hoffen. Das sollte uns deshalb auch nicht weiter beunruhigen. Wir können nicht mehr tun als das, was in unserer Macht steht. Für die Beurteilung der eigenen Moral zählt die Absicht, nicht das Ergebnis – denn auf das haben wir nur begrenzten Einfluss.
Den Stoikern geht es also um Gemeinsinn und Pragmatismus. Im elften Buch der «Wege zu sich selbst» schreibt Marc Aurel: «Wie deutlich tritt mir doch vor Augen, dass keine andere Situation dem Philosophieren so förderlich ist wie die, in der du dich zurzeit befindest.»
Und Sie: Was bedeutet für Sie Gelassenheit, Gemeinsinn und Pragmatismus? Schreiben Sie an
Bleiben Sie gesund und bleiben Sie verbunden
Ihre Regula Hug
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